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Fokus auf Georgien – DW – 10/08/2018

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Trotz seiner geografischen Lage sieht Tiflis sehr nach einer europäischen Hauptstadt aus, lebendig und eigenartig schön. Im 19. Jahrhundert schufen Händler, Bankiers und weitgereiste Händler breite Straßen und geräumige Herrenhäuser im Stadtzentrum. Jedoch ist die Altstadt voll enger kopfsteingepflasterter Straßen. Überall gibt es Gerüste, da viele prächtige Gebäude restauriert werden: Die Hauptstadt Georgiens legt die bröckelnden Überreste der Sowjetzeit ab.

Der preisgekrönte georgische Dramatiker und Kritiker Davit Gabunia beobachtet die Veränderungen in seiner Stadt, im Land und bei den Menschen. Wo führt die junge Republik nach Jahrzehnten sowjetischer Besatzung hin und wie geht sie mit ihrer Vergangenheit um? Gabunia sagt: „Wir brauchen viele weitere Jahre Stabilität, Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung, bevor wir uns mit der Vergangenheit auseinandersetzen können.“ Die Vergangenheit Georgiens ist geprägt von Jahrhunderten ausländischer Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung, Stalins Ungerechtigkeitssystem, sowjetischer Propaganda und den harten Zeiten nach der Unabhängigkeit 1991.

Die angespannte politische Situation hat die Menschen so sehr beschäftigt, dass niemand Zeit oder Ruhe hat, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, erläutert Gabunia. Auch deshalb ist die georgische Literatur so aufschlussreich. Seine Geschichten führen durch das kleine Land und seine Geschichte, erzählen von Menschen und geben einen unverblümten Blick auf die Abgründe und Umbrüche des Landes. Farben der Nacht, Davit Gabunias Romandebüt, ist ein Kriminalthriller, der 2012 während politischer Ereignisse spielt. Die Kultur Georgiens, argumentiert Davit Gabunia, ist eine Kultur der Extreme. Die Protagonisten seiner Geschichte mögen normale Menschen sein, aber sie finden sich in Extremsituationen wieder.

Nana Ekvtimishvili wuchs in einem Dorf vor den Toren der Hauptstadt auf, gleich neben einem Waisenhaus aus der Sowjetzeit, in dem unerwünschte Kinder in großer Armut lebten. Sie verwebte ihre Kindheitserinnerungen in einem verstörenden Roman mit dem Titel The Pear Field. Die Geschichten, die Nana Ekvtimishvili erzählt, spielen alle in Georgien. Frauen stehen im Zentrum dieser Geschichten, Frauen, die die Dinge selbst in die Hand nehmen und Veränderungen suchen.

Archil Kikodze, Autor, Fotograf, Schauspieler und Reiseführer, hat intensiv in seinem Land und Tiflis gereist, was ihn zu einem Wanderer zwischen Welten mit einem starken Beobachtungssinn macht. Sein preisgekrönter Roman Southern Elephant verfolgt einen Erzähler durch einen Tag in Tiflis und zeichnet durch Rückblenden das Bild einer Identitätskrise voller ethischer Konflikte und Fragen über das richtige oder falsche Leben, über Wahrheit und Wahrhaftigkeit.

Heute strebt Georgien weiterhin danach, sich stärker in den Westen zu integrieren. Englisch hat Russisch als erste Fremdsprache abgelöst, und die Menschen können ohne Visum in die EU reisen. Die georgische Literatur ist sicherlich eine großartige Möglichkeit, die Kontraste und die sich verändernde Kultur des Landes zu entdecken.

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