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Friday, September 20, 2024

Frankfurt Lektionen: Bücher sind nicht per se eine Kraft für das Gute

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Am vergangenen Wochenende brach beim Frankfurter Buchmesse, der weltweit größten Messe für die Verlagsbranche, beinahe Massenhysterie aus. Es kam zu Schlägereien zwischen Fremden in den leeren Messeständen und Faustkämpfen bei Buchpräsentationen. Die Hauptverantwortung für die Aufregung lag bei dem Buch “Mit Linken leben”, das vom rechtsextremen Antaios-Verlag veröffentlicht wurde. Auch die Anwesenheit von Björn Höcke, einem Politiker der rechtsextremen Alternative für Deutschland, sorgte für Unruhe. Das Buch war eine hastig verfasste Antwort auf ein anderes Buch mit dem Titel “Mit Rechten reden”, das von Klett-Cotta, einem rivalisierenden Verlag, veröffentlicht wurde. Der Titel des letzteren Buches war als ernst gemeinte Aufforderung zu einem sinnvollen Dialog statt der Marginalisierung politischer Gegner gedacht.

Die Forderungen einiger Personen vor der Veranstaltung, rechtsextreme Verlage von der Frankfurter Buchmesse auszuschließen, wurden nicht rückwirkend durch die Kämpfe legitimiert. Wenn der Börsenverein des Deutschen Buchhandels solchen Forderungen nachgegeben hätte, hätte er nur die Propaganda der Rechten angeheizt, die sich als Opfer des Mainstreams sehen. In der Hysterie über die Nähe von Büchern und Schlägern landet die Verlagsbranche oft auf ihrer Kanzel und verbreitet einen vertrauten Mythos. In diesen Predigten wird das Buch als Mittel dargestellt, das zivilisiert und Brücken zwischen Menschen baut. Es ist ein Kulturgut, das zuverlässig der Barbarei entgegenwirkt. Die Schlägerei in Frankfurt deutet darauf hin, dass wir uns von dieser Illusion verabschieden können.

Es mag in einzelnen Fällen wahr sein, dass ein gebildeter Leser einem ungebildeten Schläger gegenübersteht, aber realistischer und beunruhigender ist in Deutschland heute, dass der Schläger und der Leser ein und dieselbe Person sind. Zeitungen, Zeitschriften und Bücher können Feuer entfachen. Selbst unterhalb des strafbaren Niveaus von Hassrede können sie genauso gut die Weltanschauungen ihrer Leser einschränken wie erweitern. Sie können genauso leicht Emotionen schüren wie Argumente stärken. Dies ist eine Binsenweisheit, die sich heute in Deutschland vor aller Augen zeigt. Es trat lange vor den Faustkämpfen bei der Frankfurter Buchmesse auf. Der Kampf wurde nicht von äußeren Kräften herbeigeführt, noch hätte er vermieden werden können, indem man Radikale und Reaktionäre ausschließt. Aber am Ende verbietet man nicht die Bücher, sondern verhaftet die Schläger.

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