Manchmal fällt es einem alten Buch zu, uns zu zeigen, was neu ist, einem weißbärtigen Philosophen, der weit entfernt von Westminster oder Washington lebt, um die Verschiebungen in unserer scharf gekleideten Politik zu klären. Anstatt sich die Jahresrückblicke in den Zeitungen anzuschauen oder der boy-scout Begeisterung von Podcastern zu folgen, empfiehlt sich dieses Jahr zur Analyse des großen politischen Umbruchs ein philosophisches Werk namens “On Bullshit”. Harry Frankfurt, der 2005 als 75-jähriger Autor des Buches wiederentdeckt wurde, hat damit den Nerv der Zeit getroffen.
Frankfurts Ziel ist es, den Begriff “Bullshit” zu definieren. Er argumentiert, dass Bullshit nicht dasselbe ist wie Lügen. Während der Lügner wissentlich ein falsches Gerücht verbreitet, interessiert sich der Bullshitter nicht für die Wahrheit. Dieser macht Aussagen, die nicht unbedingt der Realität entsprechen, sondern die eigenen Zwecke erfüllen. In der Unterscheidung zwischen Lügen und Bullshit liegt eine Erklärung für die heutige Ära der Politik, in der Personen wie Trump und Johnson im Rampenlicht stehen.
Frankfurts Buch bietet eine Theorie zu Politikern, die eine ganze Generation prägten und nun langsam von der Bühne abzutreten scheinen. Lügen können aufgedeckt werden, aber gegen Bullshit ist kein Kraut gewachsen. Für einen Bullshitter sind Fakten irrelevant – es geht vielmehr darum, eine Geschichte zu erfinden, die die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge verwischt. Frankfurt schlussfolgert: “Bullshit ist ein größerer Feind der Wahrheit als Lügen es sind.” Dies wirft ein Licht auf die politische Landschaft, insbesondere in Großbritannien, wo eine Ära des Bullshit auf eine Epoche der Lügen folgte.
Die Frage nach dem Publikum für Bullshit und warum Menschen ihn glauben, wird nicht von Frankfurt beantwortet. Doch warum behaupten Teile der politischen Elite und der Presse weiterhin, dass Brexit ein Erfolg sei oder dass “Levelling up” ernsthaft betrieben wird, obwohl Alternativen zur unehrlichsten Unehrlichkeit nur schwer vorstellbar sind? Es ist zu hoffen, dass Antworten darauf gefunden werden, um die Wahrheit wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte zu rücken und den Grassroot-Populisten das Handwerk zu legen.