Eine Frau mit einem silbernen Bob sitzt mit ihrem Ehemann und ihrem mittelalten Sohn und blättert durch ein Familienfotoalbum. Sie stoßen auf ein Bild einer schönen jungen Frau: volle Lippen und ein wunderschön nachdenkliches Lächeln. Ihr Ehemann sagt: “Du warst einst die schönste Frau der Welt.” Sie erwidert: “Das habe ich noch nie gehört.” Die Zuschauer im Raum explodieren vor Lachen. Sie sind an einem kühlen Herbstabend in einem Gemeindezentrum in Lauchhau-Lauchäcker, in der deutschen Stadt Stuttgart versammelt, essen Popcorn und schauen sich die Dokumentation Vergiss Mein Nicht an. Der Grund für das Gelächter? Die Frau auf der Leinwand leidet an Alzheimer, und ihre schlagfertige Antwort ist ein seltenes Moment der Selbstklärung. Der Film folgt dem 73-jährigen Gretel Sieveking in ihrem Kampf gegen die Krankheit; er wird von ihrem Sohn David geleitet.
Das Festival hat zum Ziel, das Bewusstsein über das Älterwerden zu schaffen, die Herausforderungen älterer Menschen in europäischen Städten anzusprechen und den Dialog in einem Land zu fördern, dessen Demographie sich schnell verändert. Eine kürzlich von Eurostat durchgeführte Studie der Mitgliedsstaaten ergab, dass Deutschland aufgrund niedriger Geburtenraten und höherer Lebenserwartung den niedrigsten Anteil junger Menschen in Europa hat, nämlich 13,2% der Bevölkerung. Es wurde prognostiziert, dass der Anteil älterer Menschen im Land steigen wird, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Das Festival ist ein seltenes Beispiel in Europa, das sich mit diesen Herausforderungen auseinandersetzt.
Im Gegensatz zu den meisten kulturellen Veranstaltungen ist dieses Festival eine Initiative des städtischen Gesundheitsamtes – der Gesundheitsbehörde Frankfurt – und wird in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich für Geriatrie der Universität Heidelberg durchgeführt. In diesem Jahr hat Stuttgart als Co-Gastgeber am achten Festival teilgenommen; mehr als 200 Veranstaltungsorte in Deutschland veranstalten jetzt Vorführungen, von Gemeindezentren bis zu Pflegeeinrichtungen mit barrierefreiem Zugang. Die Organisatoren führen die positive Resonanz auf den Mangel an ähnlichen Plattformen zur Behandlung der Fragen rund um das Älterwerden zurück.
Der Dokumentarfilmer David Sieveking erklärt: “Mein Film gibt den Menschen Mut, über Alzheimer zu sprechen und mit der Krankheit umzugehen.” Er hebt auch neue Themen hervor, wie die Schulung von Flüchtlingen als Pflegekräfte, da es in Deutschland an ausgebildeten Fachkräften im Bereich der Altenpflege mangelt. Der Festivalleiter Michael Doh, der auch Gerontologe an der Universität Heidelberg ist, wollte die verschiedenen Dimensionen des Alterns zeigen und betont die Bedeutung von Gemeinschaft und Solidarität bei der Bewältigung des Prozesses des Älterwerdens. Insgesamt zeigten die Themen des Festivals, die sich mit den Herausforderungen des Älterwerdens auseinandersetzen, eine Resonanz beim Publikum und förderten den Dialog über das Älterwerden in der Gesellschaft.