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Friday, September 20, 2024

Verloren in der Gentrifizierung

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Während der Fahrer zügig die Hamburger Elbbrücken überquert, verweilt sein Blick gefährlich lange auf einem massiven Betonskelett. Die halbfertige Struktur des Elbtowers in der Hafencity, der höchste Gebäude außerhalb Frankfurts werden soll, ist bereits in diesem Stadium ein einschüchterndes Monument.

Nach dem Zusammenbruch von René Benkos Immobilienimperium wird dieser Anblick wahrscheinlich eine Weile unverändert bleiben. Der Bau im Hafen ist zum Stillstand gekommen, seit die Signa Group Insolvenz angemeldet hat. Hamburg sucht daher mit Nachdruck nach einem neuen Projektentwickler, um den Elbtower zeitnah fertigzustellen.

Die grassierende Immobilienkrise lähmt inzwischen die Fortschritte auf immer mehr Großbaustellen im ganzen Land. Nicht nur der Zusammenbruch des Signa-Konglomerats beeinträchtigt schöne Skyline-Träume. Die gesamte Branche stöhnt unter steigenden Finanzierungs- und Materialkosten. Besonders Projektentwickler, die oft die größten Risiken tragen, können dem Druck von Inflation, Rezession und Zinserhöhungen nicht mehr standhalten.

Im Herzen der Frankfurter Innenstadt nimmt dieses Drama eine einzigartige Wendung. Im vergangenen August meldete die Gerchgroup Insolvenz an, die mindestens vier von neun Großprojekten des Immobilienentwicklers teilweise betrifft. Die aufwendige Revitalisierung des historischen Frankfurter Polizeipräsidiums schien zunächst unberührt. Doch die Hoffnung wurde schon bald zerschlagen. Es stellte sich heraus, dass auch die für die Entwicklung des erstklassigen Anwesens in fußläufiger Entfernung zu den funkelnden Banktürmen zuständigen Unternehmen bankrott sind.

Viele Frankfurter mögen nicht allzu traurig über die neueste Wendung in der Saga des vernachlässigten Areals sein. Das 1914 fertiggestellte Polizeipräsidium mit seiner eindrucksvollen Mischung aus neo-barocker und neoklassizistischer Architektur ist schon lange einer der prominentesten “Lost Places” des Landes. Seit 22 Jahren dem Verfall preisgegeben, dient das architektonische Denkmal sowohl als dystopisches Filmset als auch als romantisch morbides Freiluftkino. Hobbyfotografen begeben sich regelmäßig auf Fotosafaris in den künstlerisch zerfallenden Korridoren, während Historiker faszinierte Besucher durch die steinernen Zeugnisse der Stadtgeschichte führen.

Es scheint, dass diese kulturellen und touristischen Attraktionen noch eine Weile bestehen werden. Die Umwandlung des 15 Hektar großen Gebiets in ein weiteres poliertes und merkwürdig steriles neues Viertel in Frankfurt – wie ursprünglich für 2026 geplant – ist nun vollkommen undenkbar. In der Zwischenzeit erkundet die Stadt derzeit nervös Alternativen, da dringend benötigter sozialer Wohnungsbau in dem neuen Viertel entwickelt werden soll. Bei der düsteren Stimmung in der Immobilienbranche sind die Erfolgsaussichten jedoch unsicher. Bislang bleibt das alte Polizeipräsidium entweder ein Schandfleck oder ein mystisch verwitterter Lost Place – je nach Perspektive.

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